Ich schreib dann mal ein Buch Teil 4 – lebendige Charaktere erschaffen

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Eine Erzählung steht und fällt mit ihren Figuren. Das ist Fakt. Der Plot kann noch so gut durchdacht sein, clever aufgebaut mit zahlreichen Twists und neuen Ideen, aber wenn die Charaktere vernachlässigt werden, merkt der Leser das sofort und verliert das Interesse.
Dabei ist es gar nicht so schwierig interessante, lebendige Figuren zu erschaffen. Wie das funktioniert, worauf man achten sollte und welche Hilfsmittel man nutzen kann, das zeige ich euch in diesem Beitrag.

Der Charakterbogen – ein nützliches Tool und ein gutes Nachschlagewerk

Ein Charakterbogen ist in etwa vergleichbar mit einem Fragebogen, den man für die Anmeldung bei sozialen Netzwerken oder Datingportalen ausfüllen muss. Nur, dass er noch deutlich mehr ins Detail geht und schummeln natürlich nicht erlaubt ist. Er umfasst sowohl äußerliche Merkmale wie Haarfarbe, Frisur, Größe der Nase, Tatoos oder Pickel als auch charakterliche Eigenschaften wie den Umgang mit anderen Menschen, hervorstechende Charakterzüge, familiärer Hintergrund, Macken, Weltanschauung, Hobbys und Ziele – um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Bildschirmfoto 2014-02-02 um 18.56.40Das Schreibprogramm Papyrus Autor (kostet Geld, aber lohnt sich) besitzt hierfür einen vorgefertigten Charakterbogen, der sich recht gut für kleine Randfiguren oder für eine schnelle Übersicht eignet. Hier werden vor allem körperliche Merkmale, Erscheinung und erster Eindruck dargestellt. Für eine Romanfigur, die wir als Leser nie richtig kennenlernen, weil sie für die Geschichte keine große Bedeutung innehat, genügt das völlig. Für den Protagonisten, seinen Antagonisten oder wichtige Nebenfiguren reicht das aber lange nicht.
Vergleicht man diesen Charakterbogen mit dem realen Leben, entspräche das, was wir über die dort beschriebene Person wissen, einer ersten Begegnung mit einem fremden Menschen, mit dem man gerade ins Gespräch gekommen ist.

Für wichtige Charaktere ist es daher sinnvoll, sich einen eigenen Charakterbogen zu erstellen und als Vorlage für künftige Figuren abzuspeichern. Ich könnte an dieser Stelle nun meinen eigenen Musterbogen zum Download feilbieten. Mach ich aber nicht.
Meine Kollegin Annika Bühnemann bietet auf ihrem Blog „Vom Schreiben leben“ einen Charakterbogen als Download an. Wer Interesse hat, kann ihn sich ansehen und als Anregung verstehen. Ich sage bewusst „Anregung“, da ich der Meinung bin, dass jeder Autor sich seine persönliche Vorlage selbst erstellen sollte. Denn jeder legt andere Prioritäten. Nicht alle Autoren beschreiben ihre Figuren äußerlich. Nicht alle Autoren brauchen einen Abschnitt für die Zugehörigkeit der Spezies. Nicht einmal die Bücher desselben Schriftstellers können immer eins zu eins denselben Charakterbogen als Vorlage nutzen.
Davon abgesehen müsste ich meine Musterbögen erstmal überarbeiten, damit sie vorzeigbar und für alle verständlich wären. ;-) Eine kleine Hilfestellung möchte ich dennoch geben.

Was gehört in einen Charakterbogen?

Hier eine kleine Übersicht, von Stichpunkten, die ich persönlich für wichtig erachte (zusammengeklaut und zusammengefasst aus diversen Büchern – weiß leider nicht mehr, welche – und psychologischen Fragebögen):

  • Alter / Gesellschaftsschicht / äußere Erscheinung / Wohnsituation / soziales Umfeld / Lebenssituation (Beruf, Schule, Leistung, Beziehung, Freunde)
  • Beziehung zu Mutter und Vater (früher und heute) / Erziehung / typische Sätze / prägende Erlebnisse
  • Beziehung zu anderen prägenden Personen (früher und heute) / typische Sätze / prägende Erlebnisse
  • Liebesbeziehung / Verhältnis / wie kennengelernt
  • Sexualität und unerfüllte Liebe / prägende Erlebnisse / Abweisungen / Phantasien
  • Bedürfnisse / Wünsche / Ziele / Sehnsüchte
  • positive Charakterzüge / Leidenschaften / Hobbys / Vorlieben
  • negative Charakterzüge / Vorurteile / Abneigungen
  • Verwundungen / Fehler / Marotten / Abwehrmechanismen / Schwächen / Neurosen / Ängste
  • äußere und innere Probleme / allgemeines Verlangen / typisches Verhalten, um Verlangen zu befriedigen
  • Beziehungen zu Personen während der Geschichte / deren Bedeutung für ihn und seine Entwicklung
  • dramatische und psychologische Funktion des Charakters während der Geschichte
  • Veränderung / Entwicklung / eigene Heldenreise:
    • 1. begrenztes Problembewusstsein – gewohnte Welt
    • 2. gesteigertes Bewusstsein – Ruf zum Abenteuer
    • 3. Widerwille gegen die Veränderung – Weigerung
    • 4. Überwindung des Widerwillens – Begegnung mit dem Mentor
    • 5. Bereitschaft zur Veränderung – Überschreiten der ersten Schwelle
    • 6. erste Versuche mit der Veränderung – Bewährungsproben, Verbündete, Feinde
    • 7. Vorbereitung auf die große Veränderung – Vordringen zur tiefsten Höhle
    • 8. Versuch der großen Veränderung – entscheidende Prüfung
    • 9. Folgen des Versuchs – Belohnung (ergreifen des Schwertes)
    • 10. erneute Selbstbesinnung auf Veränderung – Rückweg
    • 11. abschließender Versuch der großen Veränderung – Auferstehung
    • 12. endgültiges Meistern des Problems – Rückkehr mit dem Elixier

Ja, das ist eine Menge – und das sind nur Übersichten der wichtigsten Punkte. Aber je besser man den Charakter kennt, desto lebendiger, glaubwürdiger und interessanter wird er.

Charakterisierungen – Beziehungen und Entwicklungen vernetzen

Charakterbögen sind in der Regel tabellarisch aufgebaut und bieten daher eine gute Übersicht. Manchmal ist es jedoch sinnvoll, eine Charakterisierung – also einen ausformulierten Text über die Figur zu schreiben. Vor allem was die Beziehungen angeht, sorgt das für deutlich mehr Tiefe.

Eine Biographie oder ein typischer Tag im Leben des Charakters zählen ebenfalls zu solchen Punkten, bei denen ich lieber ausformuliere, anstatt Stichpunkte zu notieren. Für Drehbücher setze ich generell eher auf Charakterisierungen, da etwas weniger Wert auf das äußere Erscheinungsbild gelegt wird als auf die Beziehungen, sozialen Verhältnisse, Hintergründe und Entwicklungen vor und während der Geschichte. Ob der Schauspieler später dunkelbraunes oder schwarzes Haar hat, entscheidet ohnehin jemand anderes.

In einem ausformulierten Text erkennt man zudem bereits sehr gut den eigentlichen Plot, der später in Buchform erzählt werden soll – aber eben komplett aus der Sicht dieser einen Figur, die man charakterisiert. Man vollzieht besser die Gefühle nach, die sie innerhalb des Romans erlebt, wie sie sich entwickelt und wie sich die Beziehungen verändern. Im Grunde also alle Einflüsse, die nur schwer als knappe Notizen in einer Tabelle verarbeitbar wären.
Ich lege dafür jedoch keine neue Datei an, sondern schreibe die ausformulierte Charakterisierung als Biographie ans Ende des Dokuments.

Noch ein paar wichtige Punkte

Mit einem Charakterbogen und einer Charakterisierung hält man zwei mächtige Werkzeuge in Händen, um lebendige, ausdrucksstarke Individuen zu erschaffen. Doch bei dem Konglomerat an Dingen, die man über seine Figuren wissen sollte, verliert man schnell mal den Sinn fürs Wesentliche. Deswegen gehe ich nun etwas näher auf einige essenzielle Details ein.

Die Veränderung – das A und O!

Nichts ist so langweilig, wie eine Geschichte, in der sich keiner der Charaktere in irgendeiner Weise entwickelt. Meist ist es der Held der Erzählung, der sich im Laufe seiner Reise verändern muss, um das Ziel zu erreichen. Es gilt für ihn, seine Ängste zu überwinden, schlechte Eigenschaften abzulegen oder Begabungen aus sich hervorzuholen, von denen er bislang nichts ahnte.
Aber es gibt auch Protagonisten, die sich kein bisschen verwandeln, die während der gesamten Story null Entwicklung durchmachen, nichts dabei lernen und weiterhin stur an all ihren positiven und negativen Wesenszügen hängen.

Stattdessen beeinflussen sie ihr Umfeld so stark, dass es sich verändert – nahestehende Personen bieten sich dafür an. Mir fällt gerade spontan der Film „Titanic“ von James Cameron ein. Warum auch immer …
Jack ist zum Beispiel eine solche Figur. Ein lebensfroher aber armer junger Mann mit Talent zum Zeichnen. Natürlich macht er innerhalb der Geschichte auch eine gewisse Veränderung durch – wenn man lange genug kramt, wird man schon etwas finden. Immerhin wollte er zu Beginn noch unbedingt nach Amerika und am Ende (Achtung Spoiler ;-)) opfert er sein Leben für seine Geliebte. Wobei … das ist eigentlich eher Pech.
Doch betrachtet man im Vergleich dazu Rose, erkennt man hoffentlich, was ich meine. Rose ist eine apathische junge Frau, die ihre Existenz im goldenen Käfig als so ausweglos empfindet, dass sie sogar Selbstmord begehen will. Durch Jack entdeckt sie eine neue Welt, ihre Lust am Leben und die Liebe. Sie gewinnt an Selbstbewusstsein und Stärke. Und das alles innerhalb dieser kurzen Zeitspanne, die sie auf der Titanic verbringt. Schon enorm. ;-)

Protagonist vs. Antagonist

Der Antagonist ist genauso wichtig wie der Protagonist und sollte mit ebenso großer Sorgfalt charakterisiert werden. Nur wenn der Held einen starken Gegner erhält, ist die Geschichte wirklich erzählenswert und mitreißend. Doch dabei muss der Antagonist nicht unbedingt ein realer Feind in Form eines Gangsterbosses, schwarzen Magiers oder Monsters sein.

Es kann sich auch um einen Menschen handeln, der einfach nur der wahren Liebe im weg steht, eine Naturkatastrophe, ein Regierungssystem, eine unbekannte Macht im Universum oder lediglich die eigene Furcht vor etwas, das gar nicht existiert. Der Antagonist ist etwas, das überwunden werden muss. Je schwieriger diese Aufgabe zu lösen ist, desto eher hat man den Leser am Haken. Und oftmals gibt es mehr als einen Widersacher.

Falls man sich aber nun dazu entscheidet, einen, sagen wir mal, menschlichen Gegner zu entwerfen, sollte man diesem eine ebenso ausführliche Charakterisierung zugestehen, wie seinem Protagonisten – auch dieser darf positive Eigenschaften besitzen und seine eigene Heldenreise bestreiten. Der fiese Gangsterboss, der den Helden ermorden will, ist vielleicht sehr familienbewusst, verlor vor Jahren seine Tochter bei einem Unfall und fühlt sich von dem schnüffelnden Detektiv-Helden in seiner Existenz bedroht.

Im Gegenzug muss der Held auch nicht zwingend heldenhaft sein. Es existieren genügend Geschichten, die erfolgreich von Figuren handeln, die alles andere als Gutmenschen sind. Hauptfiguren als Serienkiller (Dexter) oder Drogenbarone (Breaking Bad) oder arrogante kleine Jungs (Artemis Fowl). Aber alle besitzen sie eine Gemeinsamkeit: die Sympathie des Publikums/Lesers. Warum? Wegen ihrer Motivation, ihren Absichten und Schwächen.

Motivation

Dexter tötet, weil er nicht anders kann. Als Kleinkind musste er mitansehen, wie seine Mutter zerstückelt wurde und seitdem besitzt er den Drang zu töten. Das erzeugt Mitleid und Mitleid führt zu Sympathie. Zusätzlich nutzt er diesen Trieb, um andere Mörder hinzurichten. Wodurch er wiederum zu einer Art Rächer mutiert.
Walter White aus Breaking Bad geht zwar über Leichen, um sein Meth zu verkaufen, aber seine Anfangsmotivation bestand lediglich im Beschaffen von Geld, um seine Krebsbehandlung bezahlen zu können. Ebenfalls der Mitleidsfaktor. Außerdem tut er alles, um seine Familie zu schützen. Irgendwie sympathisch, oder?
Artemis Fowl kidnappt eine Elfe und ist ein arroganter, berechnender Junge – ein kleines Verbrechergenie. Aber eigentlich vermisst er nur seinen Vater, den er zu retten versucht und dessen Platz er so lange einnimmt.

Jede Handlung, ob gut oder böse ist das Resultat einer Motivation. Und je besser man als Autor seine Kreationen kennt, desto natürlicher wirkt dieser Beweggrund – sei es durch ein vergangenes Erlebnis, ein prägendes Ereignis, ein Mangel, ein Ziel oder ein sehnsüchtiger Wunsch. Wie heißt es doch so schön: „Die schlimmsten Dinge geschehen aus den besten Absichten heraus.“

Besonderheiten, Makel und Einzigartiges – das Außergewöhnliche

Es finden sich viele Möglichkeiten, um seinen Figuren Tiefe zu verleihen. Widersprüchliche Charakterzüge, eine bewegte Vergangenheit, geheime Phantasien usw. Aber um einer Figur einen Wiedererkennungswert zu verpassen, benötigt es etwas Hervorstechendes.

Ein paar Beispiele? Harry Potter hat seine Blitznarbe, Indiana Jones seinen Hut und die Peitsche, Darth Vader das unvergleichliche Atemgeräusch. Wegen derlei „Kleinigkeiten“ bleiben sie in Erinnerung. Eine Figur, die man bereits an einem Detail erkennt, ist in der phantastischen Literatur recht einfach zu erstellen.

Im realen Leben wird es da schon schwieriger. Wenn man einen Charakter entwirft, der auch unser Nachbar sein könnte, dürften bedeutungsvolle Blitznarben etwas unpassend erscheinen. Aber man kann sich im Freundeskreis umsehen. Was besitzen die Menschen in unserer Umgebung für einzigartige Macken? Etwas, woran man sie körperlich bereits von weitem erkennt, wie eine eigenartig wippende Art zu gehen? Oder Dinge, die man für alle Zeit mit ihnen verbindet. Ein Kettenraucher, der stets eine Fluppe im Mund hat. Eine Phrase, die der beste Kumpel immer wieder aufs Neue wiederholt. Krasse Stimmungsschwankungen, bei denen man nie weiß: Ist er heute ansprechbar oder gehe ich lieber auf Distanz? Ein starker Dialekt, der von seiner Herkunft zeugt. Oder vielleicht ein fehlender Finger, als die Kreissäge mal abrutschte.

Es gibt unendliche Möglichkeiten besonderer Merkmale. Schaut euch einfach in eurem Freundes- und Bekanntenkreis um. Ihr findet mit Sicherheit bei jedem mindestens eine unverkennbare Eigenart.
Im Schreibprozess können manche Kennzeichen zudem sehr nützlich werden. Habt ihr ein Kapitel, in dem viele verschiedene Figuren miteinander reden, kann ein Dialekt zur Unterscheidung dienen. Dann erübrigt es sich, zu erwähnen, wer gerade spricht. Und selbst die unwichtigsten Nebenfiguren erhalten durch eine kleine Besonderheit einen gewissen Wiedererkennungswert und laufen nicht Gefahr, dass sie blass erscheinen.

Anzahl der Charaktere

Wo wir gerade beim Thema „mehrere Personen in einem Kapitel“ waren, widme ich diesen Abschnitt der Menge an Figuren in einer Erzählung. Mit Sicherheit gibt es keine Formel, wie viele Charaktere pro Seitenanzahl noch als übersichtlich gelten. Aber man sollte im Hinterkopf behalten, dass eine hohe Charakterdichte die Komplexität der Gesamthandlung deutlich erhöht. Jedes Geschöpf verfolgt seine eigenen Interessen. Wenn in einer abgeschlossenen Handlung von zehn Seiten zwanzig Figuren auftreten sollen, wird es unmöglich, diese alle innerhalb der Geschichte zu beschreiben und zu charakterisieren.

Hier gilt es klar, Prioritäten zu setzen und den Fokus auf zwei oder drei Charaktere zu lenken. Für meine Kurzgeschichte „Die Fettnäpfchenskala“ aus dem Zeit-Zwirbel-Effekt wollte ich ursprünglich sechs Menschen in das Raumschiff quetschen. Allerdings merkte ich sehr bald, dass, selbst wenn ich mit sprachlichen Besonderheiten der Figuren arbeite, es einfach nicht funktioniert. Es wäre unübersichtlich geworden und die Charaktere hätten zusätzlich an Tiefe verloren. Daher reduzierte ich die Anzahl um die Hälfte und es funktionierte.

AnyTime2In der Geschichte „Der Hohe Rat der Superschurken“ – ebenfalls aus dem Zeit-Zwirbel-Effekt – steckte ich eine ganze Gruppe von Außerirdischen in einen Raum. Unmöglich alle zu charakterisieren, wenn ich meine Leser nicht mit Beschreibungen langweilen wollte. Es reichte, mich auf die Hauptfigur Any Time (Bild), die das Treffen gerade betritt, den Redner, den sie in dem Moment unterbricht und ihren Sitznachbarn zu konzentrieren. Die anderen Anwesenden treten immer nur kurzzeitig in Erscheinung, werden in dem Moment mit ein oder zwei Sätzen charakterisiert und bleiben ansonsten stille Statisten oder eine raunende Menge. Stünde diese Geschichte in einem Roman, könnte ich, wenn ich wollte, alle Charaktere im Vorhinein beleuchten, und dann während dieser kurzen Sequenz entsprechend interagieren lassen. In einer Kurzgeschichte ist das aber nicht möglich und ohnehin unnötig.

Doch auch in einem dicken Wälzer sollte man darauf achten, dass der Leser nicht durcheinander kommt. Es muss berücksichtigt werden, dass nicht alles in einem Rutsch gelesen wird, sondern hin und wieder ein paar Wochen oder gar Monate verstreichen, bis er erneut Zeit zum Schmökern findet.
Wenn dann ein neues Kapitel über eine Person beginnt, die zwar vorher schon irgendwann erwähnt wurde, aber keinen bleibenden Eindruck hinterließ, könnte es schwierig werden, wieder hineinzufinden. Da hilft es enorm, wenn sich die Hauptfiguren und größeren Nebenrollen möglichst stark voneinander unterscheiden. Nicht umsonst haben alle vier Frauen aus der Serie „Sex and the City“ völlig verschiedene Haarfarben und Frisuren. Gibt kaum etwas Verwirrenderes, als vier Mädels, die exakt gleich aussehen.

Für einen Roman heißt das, kontrastreiche Charaktere erstellen, da man die Haare wohl nun nicht bei jedem Auftritt der Figur erwähnen möchte. Wenn der eine Hauptcharakter den ganzen Tag gestresst durch die Gegend rennt, und der andere nur faul Zuhause vorm Fernseher sitzt, würde bereits ein Satz wie „Er griff nach der Fernbedienung“ genügen, um einzuleiten, welcher von beiden gerade angepeilt wird.

Bilder als Hilfestellung

Noch ein kleiner Tipp von mir für die Charakterisierungen: Wer Schwierigkeiten hat, sich seine Figuren – seien es Menschen oder irgendwelche anderen Wesen – bildhaft vorzustellen, oder so viele Charakterisierungen geschrieben hat, dass er den Überblick verlieren würde, dem rate ich zu einer zusätzlichen Verwendung von Bildern. Für menschliche Figuren empfehlen sich Fotos von Schauspielerinnen und Schauspielern, die man als die ideale Besetzung für den Fall einer Verfilmung ansehen würde.

TuckelFür Aliens, Fabelwesen, Monster oder Zombies kann man auf Bildbearbeitungsprogramme, 3D-Programme, Computerspiele oder die eigene Zeichenkunst zurückgreifen. Dabei ist es nicht unbedingt nötig, fotorealistische Bleistiftzeichnungen abzuliefern, die man im Louvre ausstellen könnte. Wenn man mit einem kurzen Blick erkennt, dass die außerirdische Spezies Nr.325 vier Arme am Hinterkopf mit jeweils drei Fingern besitzt, ist das bereits viel wert. Außerdem hängt man auf diese Weise weniger der Versuchung nach, die Beschreibung der Figur mit denselben Worten abzufertigen, die im Charakterbogen stehen. Und wer gut zeichnen kann, dem eröffnen sich zudem die Möglichkeiten, diese Bilder in sein Buch einzubinden oder als zusätzliches Werbematerial auf die eigene Website zu stellen.

Plot oder Figur – mit was fang ich an?

Noch ein Hinweis zur Reihenfolge der Vorgehensweise. Da sich Charakter und Handlung selbstverständlich nicht komplett voneinander trennen lassen, das eine das andere immer beeinflusst, befinden sich beide in einer stetigen Bewegung. Ich persönlich verfahre gemeinhin so, dass ich zu Beginn den gesamten Plot durchplane – der Schritt, den ich nächste Woche genauer erläutern werde – und anschließend die Charakterisierungen schreibe. Was sich während der Erschaffung der Figur ergibt, baue ich hiernach in die Handlung ein und überarbeite sie entsprechend.

Natürlich kann man das auch umgekehrt handhaben. Allerdings empfinde ich es als einfacher, einen Charakter mithilfe des Plots zu verfeinern und diese dann in die Handlung einfließen zu lassen, als aus einer Figur heraus einen Plot zu entwerfen, der dann wiederum den Entwurf dieser Person beeinflusst. Letzteres besitzt bei mir weniger Dynamik, da meine Charaktere schneller festgefahren sind, sobald ich sie genau kenne und es mir in der Seele wehtut, wenn ich daran noch große Veränderungen vornehmen muss.
Einen Teil der Geschichte, die ich vorher entworfen habe, komplett umzustellen, weil meine Hauptfigur doch lieber eine Frau sein möchte als ein Mann, fällt mir deutlich leichter, als eine männliche Figur mit Biographie und allem Drum und Dran auf weiblich umzukrempeln, nur weil es im Plot irgendwie etwas besser passen würde.

Ich hoffe, ich konnte euch einen guten Einblick darin geben, wie man lebendige, ausdrucksstarke Charaktere entwirft, die eine Geschichte wirklich aufwerten. Worauf achtet ihr denn so, wenn ihr eure Figuren entwerft? Schreibt ihr auch Charakterisierungen oder kennt ihr sie so in und auswendig, dass ihr so etwas nicht benötigt? Verfügt ihr über einen eigenen Charakterisierungsbogen oder verfasst ihr lieber Biographien? Über Kommentare und Anregungen würde ich mich sehr freuen. Man lernt ja nie aus.

Kommentare 1

  1. Hi, Dany.
    Wieder ein klasse Artikel, den man sehr gut als Vorlage zur Charakterentwicklung verwenden kann. Ich persönlich benutze selbst weniger detaillierte Bögen, eigentlich sind das mehr Stichpunkte, dich sich auf Name, Geburtstag, Haar- und Augenfarbe beschränken. Natürlich habe ich eine Vorstellung über den Charakter im Kopf, aber diese sind meist so lebendig, dass ich dazu kaum Notizen mache. Bei Bedarf tauchen sie einfach auf und ich kann sie mir „ansehen“.
    Die Spezifizierungen erfolgen meist im Laufe der Geschichte. Ich möchte nicht zu viele Details festlegen, damit der Charakter sich im Lauf der Geschichte noch dem Plot anpassen kann oder umgekehrt. Aber meist treibt der Charakter den Plot voran. Manche natürlich mehr, andere weniger.
    In meiner Fantasy-Buchreihe gibt es ziemlich viele Hauptcharaktere, im Laufe der Geschichte verändert sich der Fokus natürlich, so dass die einzelnen Charakter gut auseinander zu halten sein müssen. Aber im Bereich Fantasy ist das eigentlich unproblematisch, da man den Charakteren ein spezielles Aussehen verleihen kann. In meinem Fall wäre das zum Beispiel die Augenfarbe und dann noch ein spezieller Duft, der von den Vampiren abgesondert wird. Wenn also ein Vanilleduft in der Luft liegt, wüssten meine Leser sofort, wer gleich um die Ecke kommt. ^^
    Während ich deinen Text gelesen habe, wurde mir klar, dass ich meine Charaktere ungefähr wie beschrieben erschaffe, allerdings geschieht das ähnlich wie beim Plot mehr in meiner Vorstellung, wo es wieder zu diesen wabernden Gebilden kommt, die ich immer wieder abrufen kann.

    LG,
    May :)

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